Geschichte der Gestaltpädagogik
(geschrieben von den IGPS-Mitgliedern Cordula und Herbert Hofmeister, 2020)
Gestaltpädagogik hat viele Quellen. Ursprünge sind in einer philosophischen Entwicklung zu Beginn des 20 Jahrhunderts zu finden. Die Phänomenologie (Husserl) und die Existenzphilosophie (Merleau-Ponty, Sartre, Camus, Buber) nehmen, entgegen bisheriger Weltbetrachtungen, weniger die Gesellschaft, als vielmehr den einzelnen Menschen in den Blick. Auch Anteile der „Kritischen Theorie“ (Horkheimer, Adorno) fließen ein.
Gestaltpädagogik, als Abkömmling der Gestalttherapie ist entscheidend geprägt von den Begründern der Gestalttherapie, dem deutschen Ehepaar Perls und dem Amerikaner Goodman. Fritz Perls (Arzt und Psychoanalytiker) und Lore Perls (Philosophin und Psychologin) praktizieren nach ihrer Flucht vor dem Nationalsozialismus zunächst in Südafrika. Später wandern sie in die USA aus und treffen dort Paul Goodman (Sozialphilosoph), mit dem sie gemeinsam die Gestalttherapie etablieren. Den fernöstlichen Touch erhält die Gestalttherapie durch den ZEN-Buddhismus, den Fritz Perls während seines Aufenthaltes in Japan kennenlernt. 1963 trennen sich die beruflichen Wege von Fritz und Laura Perls. Fritz Perls geht für sechs Jahre nach Kalifornien und entwickelt dort am Esalen-Institut seinen eher konfrontativen „Westküsten-Therapiestil“. Laura Perls und Paul Goodman bleiben in New York und vervollkommnen ihren dialogischen „Ostküstenstil“. Eine Synthese beider Therapiestile, mit Betonung des dialogischen Stils, wird heute z.B. von den Gestalttherapeuten Erv und Miriam Polster in den USA und von Erhard Doubrawa und Achim Votsmeier-Röhr in Deutschland vertreten.
Im Sog der Reformpädagogik finden die Erfahrungen der Gestalttherapie auch in der Pädagogik eine größere Aufmerksamkeit. Auch hier geht es um Wachstumsmöglichkeiten des Individuums, um Kontakt und Begegnung. Mitte der 1970-er Jahre taucht der Begriff Gestaltpädagogik erstmalig auf. Gestaltpädagogik, zunächst als eine vom Lehrer ausgehende Methodik gedacht, sollte dem Lehrer sein eigenes Verhalten im Umgang mit sich selbst und den Schülern bewusster machen und dadurch der Lehrer/Schüler-Begegnung mehr Achtung und gegenseitigen Respekt ermöglichen.
Der Lehrer sollte den Schülern ein authentisches Gegenüber sein und darüber hinaus die persönlichen Besonderheiten seiner Schüler wahrnehmen und deren Selbstbestimmung und Selbstverantwortung fördern. Sandra Fröhlich hat 2004 in einer qualitativen Studie über den Effekt der Gestalt-Ausbildung bei Lehrern herausgefunden, dass nicht nur die sozialen Kompetenzen gefördert werden konnten und das Engagement der Schüler im Unterricht zunahm, sondern dass auch die Berufszufriedenheit bei den Lehrern mit Gestaltausbildung deutlich höher lag. (Boeckh S.168)
Albert Höfer, geb. 1932, österreichischer Religionspädagoge, Priester und Psychotherapeut hat eine breite Lehrerschaft im deutschsprachigen Raum mit der Gestaltpädagogik vertraut gemacht. Insbesondere Religions- und Ethiklehrer fühlten sich von seinen Weiterbildungsangeboten angesprochen.
In jüngster Zeit hat sich die Gestaltpädagogik auch außerhalb der Schule etabliert und findet Anwendung in der allgemeinen Erwachsenenbildung, in der Mediation, im Coaching und der Organisationsentwicklung.
Literatur:
Albrecht Boeckh Gestalttherapie- Eine praxisbezogene Einführung -,
2015 Psychosozial-Verlag, Gießen
Erhard Doubrawa/Stefan Blankertz Einladung zur Gestalttherapie-
2010 Peter Hammer Verlag, Wuppertal